John le Carre´, Federball, 3. Aufl., Berlin 2019, 350 Seiten, 24,00 Euro
"Federball" ist der letzte Roman des britischen Autors John leCarre, der Ende des vergangenen Jahres im Alter von 89 Jahren verstorben ist. Bei diesem Werk handelt es sich, wie gewohnt seit dem ersten weltweit beachteten Roman "Der Spion der aus der Kälte kam", um einen Spionage-Thriller mit den üblichen Zutaten des Genres: Verdeckte Ermittlungen mit typischen Beobachtungs- und Kommunikationstechniken, darunter Fälschung und Täuschung, Geheimcodes, tote Briefkästen dazu Geheimdienstler, die Whiskey trinken und Kraftausdrücke benutzen.
Angesichts dieser Elemente ist zu fragen, was den Roman aus der Mittelmäßigkeit der Spionageliteratur hervorhebt. Es ist zum einen die meisterhafte traditionelle Erzählweise. Ein Ich-Erzähler berichtet rückblickend aus seiner Perspektive. Er hält alle Fäden seiner Geschichte in der Hand und erzählt souverän: echt wirkende Dialoge, Beschreibung der Lebensweise von Figuren und feine psychologische Überlegungen zu ihrer Charakterisierung und zur Begründung der Handlung.
Zum anderen ist es das Thematische, das sowohl politisch höchst aktuell ist, als auch mit dem Gegensatz von Spiel und institutionellem Ernst über den zeitgeschichtlichen Augenblick hinausweist.
Offenbar steht der Protagonist für eine gebildete, liberal denkende, britische obere Mittelschicht, die sich angesichts der dreifachen politischen Belastung durch Brexit, Tories und Trump ihrer Loyalität zum Land und zur Krone nicht mehr sicher ist.
Folgende Zitate mit drastischen Äußerungen der Figuren kennzeichnen die politische Aktualität des Romans:
a) Zum Brexit: "Ein zehntklassiges Minderheitenkabinett der Tories. Ein schauderhafter Außenminister, dem ich zu dienen habe, Labour ist auch nicht besser. Der blanke Irrsinn des Brexits" … - "Der Brexit ist Selbstmord. Die britische Öffentlichkeit wird von einem Haufen reicher, elitärer Schwindler, die sich als Männer des Volkes gerieren, über die Klippe gescheucht." - "Ja, der Brexit ist tatsächlich ein durch und durch beschissenes Chaos, auch wenn ich bezweifle, dass wir sonderlich viel unternehmen können, um die Uhr zurückzudrehen."
b) Verhältnis zu den USA: „Das war unsere Special Relationship mit den Vereinigten Staaten. Wir haben friedlich an der hinteren Zitze der amerikanischen Macht genuckelt. Und heute? …Eine einzige Katastrophe.“ - „Der Punkt ist, Trump ist ein Gangsterboss, durch und durch. Ist dazu erzogen worden, auf die bürgerliche Gesellschaft zu scheißen, nicht Teil von ihr zu sein."
c) Brexit und USA in Bezug auf die europäische Gemeinschaftsidee: "Ich bin der festen Überzeugung, dass Großbritanniens Ausscheiden aus der Europäischen Union zu Zeiten Donald Trumps und die draus folgende uneingeschränkte Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten – während die USA ungebremst auf einen institutionalisierten Rassismus und Neofaschismus zusteuern – für Großbritannien und für die liberale Demokratie auf der ganzen Welt das beschissenste Chaos ist, das man sich nur vorstellen kann."
Dieser zeitkritische Ton wird verstärkt durch ein zentrales Moment im Plot der Geschichte. Eine geheimdienstliche Machenschaft zwischen den Briten und Amerikanern ist auf die Schwächung und Spaltung der europäischen Union gerichtet. Ihre "Sozialdemokratisierung" soll verhindert werden.
Der Übersetzer, Peter Torberg, hat eine angenehm lesbare Version erstellt, die nur noch gelegentlich das Original-Idiom im Hintergrund aufscheinen lässt, was nicht sonderlich stört, da man sich als deutschsprachiger Leser ja in der britischen Welt wähnt.
Auf die getreue Übersetzung des Originaltitels "Agent Running in the Field" musste er wohl verzichten, da man im Deutschen kaum das entsprechende Spektrum von Bedeutung, Nebenbedeutung und Anspielung in einem Äquivalent abbilden könnte. Der englische Titel weist jedenfalls über das Federballspiel hinaus. Er enthält das Bild eines Agenten, der zwischen privaten, dienstlichen, institutionellen und staatlichen Interessen herumläuft, wobei offen bleibt, wie selbstbestimmt er dabei ist.
Der knappe deutsche Titel stellt das Federballspiel in den Mittelpunkt. Es nimmt breiten Raum im Roman ein und erfährt eine gewisse Poetisierung. Seine Bedeutung wird am Ende des Romans klar. Obwohl der Protagonist, ein Spionageprofi, diesen Sport auch schon für die Anwerbung junger Talente funktionalisiert und zur Täuschung benutzt hatte, erlebt er hier eine wahrhafte und echte Beziehung. Zwei Personen können sich ganz unverkrampft ausschließlich dem Spiel und der Freizeitbeschäftigung hingeben. Zuletzt kommt noch einmal die Täuschungskunst des Meisterspions zum Einsatz, sie dient aber dem individuellen Glück.
Abschließend noch der Hinweis, dass der deutsche Leser ein paar Stellen im Roman findet, an denen Deutschland in zwei Punkten sehr positiv gewürdigt wird: für seine gründliche Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und für sein Eintreten für eine europäische Einigung. G.M.