30.12.04

Umberto Eco, Baudolino (Roman)

Umberto Eco, Baudolino (Roman), München 2003, übers. v. Burkhart Kroeber, Deutscher Taschenbuchverlag, 12,50 Euro.

„Wenn einer nicht auf dem gewohnten Weg vorankommt, sucht er sich hintenrum eine bessre Straße. Die Art der Erfindung ist sehr mannigfaltig; doch um das Gute zu finden, muß man, ich hab`s erprobt, in umgekehrter Richtung gehen.“ 

Dieses Zitat aus einem zeitkritischen Gedicht von Galileo Galilei (1590), hat Umberto Eco seinem 633 Seiten umfassenden Roman „Baudolino“ als Motto vorangestellt. Auf entsprechende Weise erzählt er uns die Lebensgeschichte von Baudolino, einem „mit allen Wassern gewaschenem Schelm und Abenteurer“ in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Während bei Galilei „Erfindung“ und „Phantasie“ das naturwissenschaftliche Denken dialektisch beflügeln, ist es bei Eco die zur Erzählkunst stilisierte Lüge des Protagonisten als schöpferischer Umgang mit der historischen Wahrheit.

Das Einleitungskapitel ist sprachlich in Anlehnung an das Mittelhochdeutsche geschrieben und bedarf der Geduld beim Einlesen. Es ist der fingierte Anfangsteil der Biographie des Romanhelden, der angeblich auf gestohlenem und abgeschabtem Pergament seines Lehrers Bischoff Otto von Regensburg schreibt. Im italienischen Original handelt es sich um eine dialektgefärbte Variante des Italienischen, die sich der Autor - nach eigenem Bekunden in einem Interview- ausgedacht hat. 

Dem Übersetzer, Burkhart Kroeber, ist die Übertragung ins Deutsche nicht nur an dieser Stelle sehr gut gelungen. Baudolino ist als 13-jähriger Bauernjunge aus dem Piemont zu Kaiser Barbarossa gekommen, als dieser mit seinem Heer auf dem Vierten Kreuzzug durch Italien zieht. Der Kaiser findet Gefallen an dem besonders sprachbegabten Jungen und adoptiert ihn. Im zweiten Kapitel begegnet Baudolino dem Kanzler des Kaisers von Byzanz, während Konstantinopel von den Kreuzrittern erobert und zerstört wird. Er zeigt ihm das erwähnte Pergament und erzählt seine Geschichte. 

Sodann aber übernimmt der allwissende Erzähler das Geschehen und entfaltet in 39 weiteren Kapiteln von jeweils 5 bis 20 Seiten Länge ein historisches Panorama: Baudolino wird zum Rhetorikstudium nach Paris geschickt und erlebt die Feldzüge des Kaisers gegen die oberitalienischen Städte und seinen Kreuzzug ins Heilige Land. Der Leser wird Zeuge von Gesprächen über historische Begebenheiten und ihre politische Einschätzung – zumeist gewürzt mit Ironie, Humor und Anspielungen. 

So tröstet Baudolino zum Beispiel seinen Kaiser nach einer Niederlage durch die oberitalienischen Städte mit folgenden Worten: „(...) bei diesen Städten wirst du immer verlieren, weil du sie zur Ordnung zwingen willst, die ein Kunstprodukt ist, während sie in der Unordnung leben wollen, die der Natur entspricht (...)“

Soweit der Rezensent als Nichthistoriker sehen kann, entspricht der historische Rahmen der bekannten Geschichtsschreibung. Auch theologische oder philosophische Themen der Zeit, z. B. die Auseinandersetzung zwischen der etablierten kirchlichen Lehre und den Nestorianern, werden richtig und vor allem gut verständlich dargelegt. Wer sich für historische Stoffe interessiert, findet einen Teil der Geschichte Barbarossas lebendig erzählt. Aber er sollte historisches Grundwissen mitbringen, damit er erkennen kann, welche Fülle von phantastischen Erzählteilen mit dem historischen Kern verbunden ist. Die Fabulierfreude des Autors ist vermutlich nicht jedermanns Sache, vor allem nicht für jene Leser, die eine klar strukturiert und spannende erzählte Geschichte suchen, um die Zeit Barbarossas besser zu verstehen. 

Im letzten Kapitel hat der Autor im Grunde bereits kritische Einwände vorweggenommen, als er zwei Romanfiguren über den Wahrheitsgehalt von Baudolinos Geschichte nachdenken lässt:

„Ja, ich weiß, das ist nicht die Wahrheit, aber in einer großen Geschichte kann man kleine Wahrheiten ändern, damit die größere Wahrheit hervortritt. (...) Früher oder später wird sie jemand erzählen, der noch verlogener ist als Baudolino.“ Günther Miklitz

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