25.3.06

Duden Abiturhilfen: Reinhard Marquaß, Prosatexte analysieren


Duden Abiturhilfen Deutsch, 11.-13. Klasse: Reinhard Marquaß, Prosatexte analysieren, Grundbegriffe und Methoden, Beispiele und Übungen, Mannheim 2006, 3. Aufl.
In der Reihe „Abiturhilfen“ des Dudenverlags bietet der Band „Prosatexte analysieren“ eine sehr nützliche Vorbereitung auf das Abitur im Fach Deutsch.
Autor und Verfasser sagen im Vorwort, dass sie das Büchlein sowohl als Hilfe zum Nachschlagen und Wiederholen von Grundbegriffen und Fragestellungen verstehen als auch als ausführlichen Lehrgang für die selbstständige Einarbeitung in das Fachgebiet.
In fünf Kapiteln wird die Textanalyse wie folgt behandelt:
  1. Die Gliederung mit Behandlung der Formen der Erzählerrede, der Zeitstruktur, der Formen der Figurenrede, der Analyse der Textgliederung und mit Lösungsvorschlägen zu den Arbeitsaufgaben.
  2. Der Stoff mit den Aspekten der Handlung, der Figuren, des Raumes, der Zeit,der Stoffanalyse und Lösungsvorschlägen zu den Arbeitsaufgaben.
  1. Der Erzähler mit den Unterkapiteln Erzähler und Autor, Er- und Ich-Erzählung, Erzählerverhalten;, Lösungsvorschlge.
  1. Komposition und Stil mit den Kapiteln zur Anordnung und Verknüpfung der Erzählsequenzen, zum Stil, zur Analyse von Komposition und Stil und Lösungsvorschläge.
  1. Klausur mit den Kapiteln Analyseverfahren, Vorarbeiten zur Niederschrift, richtige Darstellung, Lösungsvorschläge.
Die Erklärungen und Definitionen sind sehr gut verständlich, Aufgaben und Musterlösungen beispielhaft.
Da das 112 Seiten umfassende kartonierte Buch leider keine Übersicht über die Texte gibt, die für die Analyse benutzt werden, wird dies hiermit getan:
Text 1: Johann Peter Hebel, Untreue schlägt den eigenen Herrn (1811)
Text 2: Johann Peter Hebel, Schlechter Lohn (1809)
Text 3: Heinrich von Kleist, Franzosen-Billigkeit (wert in Erz gegraben zu werden) (1809)
Text 4: ohne Angabe des Autors, Begegnung um Mitternacht (erste Fassung) (Jahreszahl fehlt)
Text 5: Hugo von Hoffmannsthal, Reitergeschichte (1899)
Text 6: Thomas Mann, Buddenbrooks (1901)
Text 7: ohne Angabe des Autors, Begegnung um Mitternacht (zweite Fassung)( Jahreszahl fehlt )
Text 8: Herbert Malecha, Die Probe (Ausschnitt) (1955)
Text 9: Johann Wolfgang v. Goethe, Die Geschichte des Marschalls von Bassompierre (1795)
Text 10: Johann Peter Hebel, Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne (1809)
Text 11: Brüder Grimm, Der süße Brei (1819)
Text 12: Christine Lambrecht, Luise (1982)
Text 13 : Slawomir Mrozek, Schuld und Sühne (1957)
Text 14: Gabriele Wohmann, Wachsfiguren (1973)
Text 15: Bettina Blumenberg, Lau (1981)
Text 16: Franz Kafka, Vor dem Gericht (1914)
Text 17: Vladimir Colin, Der Kontakt (Jahreszahl fehlt )
Text 18: Siegried Lenz, Das unterbrochene Schweigen (1975)
Text 19: Gabriele Wohmann, Grün ist schöner (1960)
Text 20: (ohne Angabe des Autors), Der Kontakt – zweite Fassung (Jahreszahl fehlt)
Text 21: Charles Bukowski, Szenen aus der großen Zeit (1972)
Text 22: Christine Lambrecht, Wohnungsbauer (1982)
Text 23: Heinrich Böll, Monolog eines Kellners (1955)
Text 24: Ilse Aichinger, Das Fenster-Theater (1953)
Text 25: Gottfried Keller, Romeo und Julia auf dem Dorfe (1856)
Text 26:Ulrich Plenzdorf, Das neue Leiden des jungen W. (1973)
Text 27: Helga Schütz, Festbeleuchtung (1973)
Text 28: Petra Süskind, Das Parfüm (1985)
Text 29:Herbert Malecha, Die Probe (1955)
Text 30: Kurt Marti, Neapel sehen (Jahreszahl fehlt)
Abschließend bleibt zu fragen, weshalb mit dem Farbfoto auf dem Buchdeckel der Leser in die Irre geführt werden muss. Es ist dort eine junge Dame abgebildet, die ein aufgeschlagenes Buch in der Hand hält mit dem Titel „Prosa aus vier Jahrhunderten“.
Der Titel ist so groß gedruckt, dass man ihn als Anspielung auf das vorliegende Büchlein missverstehen kann, das nach obiger Liste nur Texte aus dem 19. und 20. Jahrhundert berücksichtigt. Im Falle einer Neuauflage könnte dies korrigiert werden.
Es wäre auch nützlich, wenn die Liste der Texte mit Ergänzung der oben bezeichneten fehlenden Daten am Ende des Buches zu finden wäre.
Günther Miklitz

23.3.06

Duden: Schreiben lernen - Neues Heft für Vorschulkinder

Die Fachleiterinnen für Pädagogik und Anfangsunterricht Ulrike Holzwarth-Raeter und Ute Müller Wolfangel haben im Dudenverlag ein 24 Seiten umfassendes Heft im DIN A4-Format für das Schreibenlernen im Vorschulalter veröffentlicht. Das Heft ist reich an kindgerechten, meist farbigen Zeichnungen. Zwei lustige Comic-Figuren, ein Hund und ein Biber, motivieren die Kinder beim ersten Arbeiten mit Großbuchstaben in Druckschrift.

Eltern und Erzieherinnen finden am Anfang des Heftes ein paar Empfehlungen und eine Übersicht über seinen Aufbau. Dabei wird einleitend darauf hingewiesen, dass jedes Kind seinen persönlichen Zugang zur Schrift findet. Deshalb müsse es über basale Wahrnehmungsfähigkeiten verfügen und die Einsicht erlangen, dass die Buchstabenfolge eines Wortes seine hörbare Lautfolge abbildet. Sodann wird zu Recht in fett gedruckten Worten betont: "Deutliches Sprechen und genaues Hören sind Grundlagen ersten Schreibens."

Die Schreibübungen bestehen neben wenigen Aufgaben für die Entwicklung der Feinmotorik überwiegend aus dem Einsetzen oder Zuordnen von Buchstaben. Für die Verbesserung der Fingerfertigkeit sind ein paar Anleitungen gegeben, wie man eine Faltschachtel baut oder Tischkarten erstellt.

In den Händen der Kinder dürfte sich der abwaschbare Karton und das Blättern mit festem und starkem Papier bewähren. Ganz sicher werden die schönen lustigen Illustrationen sowohl kleinen als auch großen Leuten gefallen. Ein erster kurzer Test mit ganz jungen Probanden in der eigenen Familie kam zu dem Ergebnis: Ein gut gemachtes Heft, das Freude bereitet und in Verbindung mit der rechten sprachlichen Begleitung durch Eltern und Erzieher gewiss die erwünschte Grundlage für die spätere Entwicklung der Schreibkultur legen kann.

Ulrike Holzwart-Raeter/Ute Müller Wolfangel, Duden: Vorschule -Jetzt lerne ich schreiben

Günther Miklitz

21.2.06

Klaus Werner, Duden-Abiturhilfen, Englische Texte analysieren

Klaus Werner, Duden-Abiturhilfen, Englische Texte analysieren

Textanalysen und Textinterpretationen selbstständig erarbeiten, 11. bis 13. Klasse, 2. aktualisierte Ausgabe, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2006, 106 Seiten, kartoniert, Ladenpreis 9,95 Euro (D), 10,30 Euro (Au), 18,20 sFr.

Selbstständige  Erarbeitung der typischen Abituraufgaben
Die von Klaus Werner verfasste Abiturhilfe „Englische Texte analysieren“ ist in der vom Dudenverlag herausgegebenen “Duden – Abiturhilfen“ erschienen. Sie ist für die Hand des Schülers/der Schülerin gedacht und soll die selbstständige Erarbeitung der typischen Abituraufgaben von Textanalysen und Textinterpretationen unterstützen.

Klar und verständlich 
Dabei zeichnet sich die Hilfe durch klar und verständlich formulierte Erklärungen zu den Aufgabentypen aus.
In englischer Sprache werden typische Fragen und Aufgaben zu den Aspekten von Inhalt, Form und Stellungnahme aufgelistet. Auf sechseinhalb Seiten wird eine englischsprachige Sammlung von Vokabeln („link words oder connectives), Strukturen und Wendungen sowie von Beispielsätzen gegeben, die leicht gelernt werden können, da auf den Listen Anwendungsgruppen gebildet sind. Für den jeweiligen Verwendungszweck findet man dann leicht in Frage kommende Formulierungen.

30 englischsprachige Texte 
Den Schwerpunkt bilden 30 englischsprachige Texte, die exemplarisch für die verschiedenen Aufgabenarten angeboten werden, wozu jeweils eine englischsprachige Musterlösung gehört.
Die Auswahl der Texte berücksichtig Autoren, die in der Regel in den Schulen gerne gelesen bzw. durchgenommen werden - zumindest von den Lehrern.

Musterklausuren aus Rheinland-Pfalz 
Im letzten Kapitel werden vier aus Rheinland-Pfalz stammende Musterklausuren mit Lösungsvorschlägen gegeben. Allerdings handelt es sich ausschließlich um Arbeiten zu literarischen Texten. Leider überwiegt das Literarische auch in der bereits erwähnten Sammlung von dreißig Texten, von denen nur eine Handvoll nichtfiktionaler Natur sind. 

Kein Verzeichnis mit Quellenangaben und Autoren
In dem insgesamt sehr übersichtlich gestalteten und für die Vorbereitung auf das Abitur sicherlich sehr nützlichen Bändchen vermisst man am Ende ein Verzeichnis der Texte mit Quellenangaben und Autoren.

Günther Miklitz

Gertrud van den Berg, Lehrer. Was sie leisten. Was sie leiden. Was sie brauchen.

Gertrud van den Berg, Lehrer. Was sie leisten. Was sie leiden. Was sie brauchen.
 
Herder Verlag, Freibug im Breisgau 2005, 158 S., 8,90 Euro.
Die Autorin des 158 Seiten umfassenden Taschenbuches mit dem Titel „Lehrer - Was sie leisten. Was sie leiden. Was sie brauchen.“ ist Diplompädagogin mit Unterrichtserfahrung in Hauptschule, Realschule und Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen (Ruhrgebiet). Wie der Titel bereits andeutet, geht es Gertrud van den Berg in ihrem Buch darum, das anspruchsvolle Thema von Leistung, Belastung und möglicher Neugestaltung der Arbeit des Lehrers zu reflektieren. 

Gesamtschullehrer-Perspektive 

Sie löst ihre Aufgabe, indem sie aus der Perspektive einer Gesamtschullehrerin namens Stolte die Fülle der bekannten Arbeitslast einer Lehrkraft im Alltag beschreibt. Dabei kommt die ganze Palette von Problemen im heutigen Lehrerberuf zur Sprache, u..a. schwierige Schüler, ungünstige äußere Bedingungen, Verdichtung der Arbeitszeit, neue Kontrollen von außen (Vergleichstests, Schulstandards, Schulinspektionen), Strukturveränderungen (z.B. Schulleiter als Dienstvorgesetzter), Versagen der Eltern, Suchtprobleme, Gewalt, Schuleschwänzen, falsche Mediennutzung. Offenbar will die Autorin zu recht mit immer noch in der Gesellschaft vorhandenen Vorurteilen und einem falschen Bild vom Beruf des Lehrers aufräumen.

Der mittlere Wahnsinn von Schule 
 
Zunächst entsteht so eine Negativschau, der mittlere Wahnsinn einer in der Praxis verkommenen Schulidee, die jeden vernünftigen jungen Menschen davor abhalten sollte, selbst diesen Beruf zu ergreifen. Das ist natürlich nicht die Intention der Autorin.
Auf jeden Fall gelingt es ihr, die Herausforderungen im Lehrerberuf heute auf gut lesbare Weisezu verdeutlichen, weil sie die Probleme aus der Alltagssicht einer Gesamtschullehrerin beleuchtet. Durch die Wahl dieser Perspektive findet zwangsläufig eine gewisse Einengung statt, was auch durch die ausschließliche Fokussierung auf Nordrhein-Westfalen geschieht.  

Quellen aus der Tagespresse und aus Zeitschriften 
 
Der Literaturnachweis am Ende des Buches zeigt dies. Quellen aus der Tagespresse und aus Zeitschriften (in der Regel aus NRW) nehmen einen breiten Raum ein. 

Einige dünne Vorschläge, fehlende Kritik
 
Aber es wird auch nicht versäumt, gesellschaftlich diskutierte und zum Teil bereits erprobte Heilmittel darzustellen. Allerdings bleiben einige Vorschläge etwas dünn, z. B. das Potential, das durch den Einsatz neuer Medien unter dem kritischen Gesichtspunkt einer zu korrigierenden Mediennutzung zu entfalten wäre. Völlig zu kurz kommt die Kritik an einer falschen Personalpolitik der Behörden (überalterte Lehrerschaft, falsche Beförderungspraxis) sowie die fehlende Allokation von gesamtgesellschaftlich durchaus vorhandenen und benötigten Finanzmitteln in den Schulbereich.

Meinung des Rezensenten 
 
Zum Glück ist die Berufssituation des Lehrers in vielen Schulen, etwa in den im Buch nicht behandelten Privatschulen und Gymnasien durchaus auch so, dass das Erfreuliche überwiegt.
Am meisten vermisst der Rezensent unter den Lösungsvorschlägen für eine Beendigung der Misere die Anerkennung des guten Lehrers durch ein Plädoyer für den Beamtenstatus und für eine Umkehr des bestehenden Gratifikationssystems: Während viele gute Pädagogen unter den gegebenen Bedingungen bestrebt sind, das Klassenzimmer (Oder die Klassenzimmer-Misere? s. o.) schleunigst und auf immer zu verlassen, indem sie Karrieren im Hochschulbereich und in der Verwaltung beginnen, sollte die wahre pädagogische Leistung, nämlich der über Jahre hin fachlich qualifizierte und erzieherisch positiv wirksame Unterricht besonders belohnt werden. Dann brauchte man sich um den Nachwuchs vermutlich keine Sorgen zu machen.

Jugendrotkreuz soll Schüler als Schulsanitäter ausbilden
 
Das Buch schließt mit der Forderung nach mehr Praxisorientierung in der Lehrerausbildung und einer „abschließende(n) Beurteilung der eingeleiteten Maßnahmen“. Dabei hat der Vorschlag, vom Jugendrotkreuz ausgebildete Schüler als Schulsanitäter einzusetzen, etwas Gutes, erscheint aber am Ende eines mit Ansprüchen geschriebenen Buches als fast rührend.

Günther Miklitz

8.1.05

Book Review: Sowell, Race and Culture

Thomas Sowell, Race and Culture
- A World View 


Thomas Sowell, a black senior fellow at the
Hoover Institution at Stanford University has aroused
much controversy with his 329 page-long book on race and
culture. His thesis runs contrary to most current trends in
social sciences. And it seems incompatible with most
assumptions underlying government policies and estabished
academic notions with regard to racial and ethnic minorities.

Sowell's thesis maintains that differences in productive
skills and cultural values are the key to understanding
the advancement or regression of ethnic groups. In his
opinion, skills and values make up the cultural capital
of an ethnic group or of a people, whereas politics,
environmental factors and genetics do not play the important
roles widely attributed to the success of a group or nation.

Since Sowell's central topic is the universe of values,
the reader will easily accept the general layout of his
book: a world view. In order to make his universal
perspective convincing, Sowell pays his respect to
a one page long list of scholars world wide from whose
wisdom he has been able to draw.

What is the result of Sowell's approach to "Race
and Culture"? We learn that certain peoples have
been more or similarly successful than others because
of their human capital, their particular pattern of
cultural values which enabled them to perform better
than others. The Jews are said to have prospered
wherever they went in the world because they were
experts in the textile business. Italian immigrants
were often similarly successful in the field of wine
production. The Germans are said to have always been
successful farmers and craftsmen, and the Chinese
succeed everywhere as retailers and restaurant owners.

In one chapter he goes into the question whether
intelligence tests allow any conclusion as to the genetic
supremacy of one race over the other. The answer is
negative. Chinese and some other immigrant groups have
been economically and socially successful in America
regardless of how they score on intelligence tests. This
proves, in his opinion, that inherited traditional values and
skills as well as the culturally based capacity to adapt to
new conditions are the essential factors, and not genetics.

He says the assumption that always environmental conditions
are the determining factors of a group's success or failure
is wrong. Consequently, he does not think that a disad-
vantaged group of American society like the uneducated and
poor blacks could be put on their feet by just improving the
environmental factors of their lives.

Throughout his argumentation he reproaches the
intellectuals of often taking the lead in spreading
misconceptions of history and doing harm to society:
"The role of soft-subject intellectuals - notably professors
and schoolteachers - in fermenting internal strife and
separatism, from the Basques in Spain to the French
in Canada, adds another set of dangers of political
instability from schooling without skills." (p. 24)

He believes in hard core skills like the technologies
and crafts which are the basis of cultural success.
Cultures are conceived of as dynamically engaged
in a competitive process in which the weaker and
less successful elements are weeded out. At that,
there are many parts of group cultures which do not
deserve any respect. That is why he thinks the notion
of "mutual respect" cannot always hold as a premise when
comparing cultures.

To his mind there is the widely observable development of a
modern world culture which gradually overcomes those cultures
which are less apt. This looks much like social Darwinism.

No wonder that the book may easily be misunderstood
as ultra conservative. In fact, its title would be almost
impossible to translate directly into German because of
the nazi connotations of the word "race".

The book provides stimulating reading because
nowhere else does one get such a pragmatic concept
with a material and substantial understanding of culture.
Probably everybody has secretly believed that according
to his private observations certain nations and cultures are
more or less successful and deserve more or less respect.
But for the sake of not nurturing prejudices everybody
refrains from speaking out.

On the other hand it must be feared that the book will
be grist to the mill of those conservative forces in society
who have always believed that only they themselves deserve
to be rich and powerful because in their blindfolded eyes the
lower strata of society lack cultural stamina and don't like to work
hard.
Guenther Miklitz

30.12.04

Umberto Eco, Baudolino (Roman)

Umberto Eco, Baudolino (Roman), München 2003, übers. v. Burkhart Kroeber, Deutscher Taschenbuchverlag, 12,50 Euro.

„Wenn einer nicht auf dem gewohnten Weg vorankommt, sucht er sich hintenrum eine bessre Straße. Die Art der Erfindung ist sehr mannigfaltig; doch um das Gute zu finden, muß man, ich hab`s erprobt, in umgekehrter Richtung gehen.“ 

Dieses Zitat aus einem zeitkritischen Gedicht von Galileo Galilei (1590), hat Umberto Eco seinem 633 Seiten umfassenden Roman „Baudolino“ als Motto vorangestellt. Auf entsprechende Weise erzählt er uns die Lebensgeschichte von Baudolino, einem „mit allen Wassern gewaschenem Schelm und Abenteurer“ in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Während bei Galilei „Erfindung“ und „Phantasie“ das naturwissenschaftliche Denken dialektisch beflügeln, ist es bei Eco die zur Erzählkunst stilisierte Lüge des Protagonisten als schöpferischer Umgang mit der historischen Wahrheit.

Das Einleitungskapitel ist sprachlich in Anlehnung an das Mittelhochdeutsche geschrieben und bedarf der Geduld beim Einlesen. Es ist der fingierte Anfangsteil der Biographie des Romanhelden, der angeblich auf gestohlenem und abgeschabtem Pergament seines Lehrers Bischoff Otto von Regensburg schreibt. Im italienischen Original handelt es sich um eine dialektgefärbte Variante des Italienischen, die sich der Autor - nach eigenem Bekunden in einem Interview- ausgedacht hat. 

Dem Übersetzer, Burkhart Kroeber, ist die Übertragung ins Deutsche nicht nur an dieser Stelle sehr gut gelungen. Baudolino ist als 13-jähriger Bauernjunge aus dem Piemont zu Kaiser Barbarossa gekommen, als dieser mit seinem Heer auf dem Vierten Kreuzzug durch Italien zieht. Der Kaiser findet Gefallen an dem besonders sprachbegabten Jungen und adoptiert ihn. Im zweiten Kapitel begegnet Baudolino dem Kanzler des Kaisers von Byzanz, während Konstantinopel von den Kreuzrittern erobert und zerstört wird. Er zeigt ihm das erwähnte Pergament und erzählt seine Geschichte. 

Sodann aber übernimmt der allwissende Erzähler das Geschehen und entfaltet in 39 weiteren Kapiteln von jeweils 5 bis 20 Seiten Länge ein historisches Panorama: Baudolino wird zum Rhetorikstudium nach Paris geschickt und erlebt die Feldzüge des Kaisers gegen die oberitalienischen Städte und seinen Kreuzzug ins Heilige Land. Der Leser wird Zeuge von Gesprächen über historische Begebenheiten und ihre politische Einschätzung – zumeist gewürzt mit Ironie, Humor und Anspielungen. 

So tröstet Baudolino zum Beispiel seinen Kaiser nach einer Niederlage durch die oberitalienischen Städte mit folgenden Worten: „(...) bei diesen Städten wirst du immer verlieren, weil du sie zur Ordnung zwingen willst, die ein Kunstprodukt ist, während sie in der Unordnung leben wollen, die der Natur entspricht (...)“

Soweit der Rezensent als Nichthistoriker sehen kann, entspricht der historische Rahmen der bekannten Geschichtsschreibung. Auch theologische oder philosophische Themen der Zeit, z. B. die Auseinandersetzung zwischen der etablierten kirchlichen Lehre und den Nestorianern, werden richtig und vor allem gut verständlich dargelegt. Wer sich für historische Stoffe interessiert, findet einen Teil der Geschichte Barbarossas lebendig erzählt. Aber er sollte historisches Grundwissen mitbringen, damit er erkennen kann, welche Fülle von phantastischen Erzählteilen mit dem historischen Kern verbunden ist. Die Fabulierfreude des Autors ist vermutlich nicht jedermanns Sache, vor allem nicht für jene Leser, die eine klar strukturiert und spannende erzählte Geschichte suchen, um die Zeit Barbarossas besser zu verstehen. 

Im letzten Kapitel hat der Autor im Grunde bereits kritische Einwände vorweggenommen, als er zwei Romanfiguren über den Wahrheitsgehalt von Baudolinos Geschichte nachdenken lässt:

„Ja, ich weiß, das ist nicht die Wahrheit, aber in einer großen Geschichte kann man kleine Wahrheiten ändern, damit die größere Wahrheit hervortritt. (...) Früher oder später wird sie jemand erzählen, der noch verlogener ist als Baudolino.“ Günther Miklitz

18.12.04

Buchbesprechung: Dagmar Giersberg, Deutsch unterrichten weltweit

Dagmar Giersberg, Deutsch unterrichten weltweit. Ein Handbuch für alle, die im Ausland Deutsch unterrichten wollen" ist 2004 im W. Bertelsmann Verlag in Bielefeld in vollständig überarbeiteter Auflage erschienen, aktualisiert und ergänzt.

In diesem Ratgeber werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie man Deutsch als Fremdsprache im Ausland unterrichten kann (als Praktikant, Fremdsprachenassistent, Lektor oder Lehrer). Zudem werden DaF-Studiengänge und Fortbildungsmöglichkeiten vorgestellt. Daneben gibt es Informationen zur Stellung der deutschen Sprache in der Welt, zu Mittlerorganisationen und Verbänden in Deutschland, Österreich und der Schweiz, zu Zeitschriften und Unterrichtsmaterial etc.

In unserer Besprechung der Erstauflage 2002 schrieben wir:
Buchbesprechung: Dagmar Giersberg, Deutsch unterrichten weltweit, Bielefeld 2002,  232 Seiten, 14,90 Euro  
Das Buch „Deutsch unterrichten weltweit“
von Dagmar Giersberg schließt eine Lücke
. 
 
Eine Informations- und Orientierungslücke, die bislang für jeden bestand, der im Ausland Deutsch unterrichten wollte und der keinen einschlägigen Studiengang in Deutsch als Fremdsprache durchlaufen hatte.
Der Rezensent erinnert sich an drei Vorbereitungen für pädagogische Einsätze im Ausland: nach Frankreich durch den Pädagogischen Austauschdienst, nach Spanien durch das Bundesverwaltungsamt und nach China durch den DAAD. Vor jeder Entsendung war es erneut nötig, sich einen Überblick zu verschaffen über Ämter, Institutionen, Organisationen und Materialquellen, mit denen man als Deutschlehrer im Ausland zu tun hat oder zu tun haben könnte. In China begegnete man sogar vereinzelt Lektoren, die von Entsendestellen kamen, mit denen man gar nicht gerechnet hatte. Hätte man als junger Auslandslehrer das nun vorliegende Handbuch „Deutsch unterrichten weltweit“ zur Verfügung gehabt, wäre manches schneller und leichter zu haben gewesen. 
 
Man findet in diesem Ratgeber die Aufgaben der verschiedenen Mittlerorganisationen beschrieben, bekommt relevante Adressen, einschließlich Web- und E-Mail-Adressen, und man kann sich kurz über finanzielle, kulturelle und rechtliche Rahmenbedingungen sowie über die ganze Palette fachlicher Aspekte des Themas Deutsch als Fremdsprache im Ausland informieren. 
 
Im Internet ist bei Amazon eine Leserrezension veröffentlicht, die besonders die Adressensammlung von Ministerien, Mittlerorganisationen und Verbänden kritisiert, da man sie leicht im Internet auffinden könne, zumal in der jeweils aktuellen Fassung.
Dem ist entgegenzuhalten, dass man nicht immer einen schnellen Internet-Rechner zur Hand hat und dass es gerade für die Aktiven im Bereich Deutsch als Fremdsprache im Ausland sehr nützlich sein dürfte, diese Informationen praktisch gebündelt und übersichtlich jederzeit erreichbar im Bücherregal zu haben. 
 
Um der Autorin gerecht zu werden, sollte man den Untertitel des Buches lesen: „Ein Handbuch für alle, die im Ausland Deutsch unterrichten wollen.“ Wer jedoch den verhältnismäßig neuen Studiengang Deutsch als Fremdsprache durchlaufen hat, kann vermutlich auf die kurzen Hinweise zu interkulturellen Differenzen und didaktischen Aspekten verzichten. Wahrscheinlich verfügt ein solcher Absolvent eines Fachstudium auch schon über eigene Unterrichtserfahrung im Ausland. 
 
Das Buch aber wendet sich hauptsächlich an diejenigen, die eine erste Orientierung benötigen. Es darf eben nicht missverstanden werden als ein Handbuch der Fremdsprachendidaktik für Deutsch als Fremdsprache - DaF. Der Nicht-Fachmann in dieser Unterrichtskunst findet ein ganzes Kapitel über die Ausbildung zum DaF-Lehrer und über entsprechende Studiengänge. Es handelt sich also eindeutig um einen Leitfaden für Novizen der Zunft und für DaF-Laien, vor allem für solche, die noch nicht recht wissen, ob sie überhaupt in den Auslandseinsatz gehen wollen. 
 
Diese Leser werden von der Autorin, die selbst durch verschiedene Erfahrungen im Ausland und bei Mittlerorganisationen ausgewiesen ist, geradezu umworben. Man spürt die Begeisterung, mit der die schöne und gewiss nicht leichte Arbeit des Deutschunterrichtens im Ausland schmackhaft gemacht wird. Dabei kommt es dem gestandenen Deutschlehrer jedoch beim Lesen der Einleitung des Buches zunächst so vor, als gehe es mit der flotten Apostrophierung des Lesers etwas allzu sehr in Richtung studentische Redeweise: „Raus aus dem Land, in dem Sie jeder versteht, in dem Sie sich auskennen – quälende Langeweile. Raus, raus, raus. Aber wie?“ (S. 9). Aber das steht sprachlich im Gegensatz zu den Hauptteilen, die in der Formulierung sachlich, fachlich und stilistisch angemessen erscheinen. – Recht so, denn es ist doch ein Fachbuch!
 
Kreativ und ansprechend Formuliertes findet der interessierte Leser an passender Stelle in den Teilen des Buches, die Erfahrungsberichte von jungen Lehrkräften bieten, z. B. aus Norwegen, aus Russland, aus Südkorea, aus Polen und aus Laos. 
--„Üppiges Grün, sanfte Hügel, vereinzelte Kokospalmen und um den Flughafen ein Meer aus Reisfeldern, die sich gleichmäßig wie Wellen im scheinbar weichen Monsunwind bewegten.“ (S. 189)
--„Ich hatte nicht erwartet, dass man mir aus dem Stegreif Schubertlieder vorsingen konnte, und auch wenn man Karajan für einen Komponisten hielt, musste ich im Gegenzug zugeben, nicht einen einzigen koreanischen Musiker, Schriftsteller oder Künstler zu kennen.“ (S. 93)
-- „Andere Sprachen, andere Erfahrungen sind hier selbstverständlicher als in überwiegend monoethnischen, monolingualen Regionen, in denen ‚das Andere’ zunächst mal als ‚das Fremde’, zuweilen gar mit bedrohlichem Beigeschmack, empfunden wird.“ (S. 64)
-- „Im Falle des Spracherwerbs beschränkt man sich weitgehend auf kontrastive Grammatikschulung und die guten alten Übersetzungsübungen. Außerhalb des Unterrichts aber beklagt man dann den Bildungs- und Werteverlust unter den Studenten, die keinen goethischen Faust mehr rezitieren können.“ (S. 34) 
 
Damit werden Eindrücke vom Unterrichten in der Fremde vermittelt, von den Herausforderungen, von den Reizen und davon, dass es auch darum geht, sich selbst zu verändern bzw. die eigenen Fähigkeiten zu entdecken und zu entfalten.  Das bedeutet auch bereit zu sein für die Revision bisheriger Positionen. 
 
Kurzum: Deutschunterricht als Begegnung mit der Fremde und die Rückwirkung auf das Selbst. Das motiviert zum Hinausgehen und zum Auslandseinsatz für DaF. 
 
Das erste Kapitel des Buches heißt: „Die deutsche Sprache in der Welt“ und eröffnet  den Blick auf eine Reihe von Aspekten.
Der Aspekt ‚Deutsch als Wissenschaftssprache’ mag verdeutlichen, warum dem Rezensenten ein tiefer gehender Blick in diesem Teil des Buches besser gefallen hätte: Zwar führt die Autorin unter ihren etwa 30 Buchtipps auf S. 194 den Titel „Ist Deutsch noch internationale Wissenschaftssprache?“ von Ulrich Ammon an.
Sie referiert auch zusammenfassend – gleichsam die kritischen Spitzen glättend – die dort beschriebene Tendenz eines allgemeinen Rückganges der deutschen Sprache in der Welt (S. 15), ohne jedoch in einer Fußnote die Quelle zu belegen. 
 
Nun gut, es ist eben kein Buch für Wissenschaftler. – Inhaltlich gesehen wäre Klartext besser wie vom Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen Kurt-Jürgen Maaß, der sich ausdrücklich auf Ammon beruft: Deutsch hat keine große Chance mehr als Wissenschaftssprache, weltweit werden nur noch knapp über ein Prozent aller naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen in deutscher Sprache verfasst. „Selbst viele deutsche Literaturwissenschaftler sind dazu übergegangen, wissenschaftliche Aufsätze auf Englisch zu schreiben, inzwischen fast fünfzehn Prozent der Veröffentlichungen.“ 
 
Ein wichtiger Punkt Ammons sollte dabei auch erwähnt werden, nämlich die neue Chance für DaF, die er in der Tatsache sieht, dass Deutsch in vielen Ländern der Welt als zweite Fremdsprache unterrichtet wird, und zwar nach Englisch. Hierauf sollte man sich im DaF-Bereich besser einstellen. 
 
Weiterhin kommt eine allgemein beklagte Tatsache zur Sprache, dass das Deutsche immer mehr Entstellungen durch Anglizismen und Deutsch-Englisch-Mischmasch erfährt.  Leider wird dieses Thema locker abgetan (S. 10). Man möchte gewiss nicht einer Deutschtümelei das Wort reden, aber in diesem Punkt würde das Eintreten für die deutsche Sprache jedem Deutsch Unterrichtenden gut anstehen.  Zu diesem Punkt also: Etwas mehr Biss, bitte! (Argumente beim Verein Deutsche Sprache e.V.) 
 
Zu dem ersten Kapitel insgesamt fehlt der Hinweis, dass ein guter Teil der darin gegebenen Informationen in einschlägigen Veröffentlichungen der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages zur auswärtigen Kulturpolitik enthalten ist. (Vgl. z. B. Bericht des Deutschen Bundestages von 1985 zur Stellung der deutschen Sprache in der Welt.) 
 
Kommen wir nun zurück auf die eingangs erwähnte nützliche Funktion des Buches als Ratgeber: Wo gibt es was für jemanden, der Deutsch als Fremdsprache im Ausland unterrichten möchte: Fachstudiengänge DaF, Unterrichtsmaterialien, Institutionen? Hier finden Abiturienten, Studierende in Anfangssemestern, Fachwissenschaftler ohne DaF-Wissen und sonstige Experten, die Deutsch unterrichten wollen oder gar müssen, die gewünschte Orientierung. 
 
Am Ende des Buches ist angedeutet, dass es im Ausland auch ein Scheitern geben kann und dass die Rückkehr dann der Ausweg sei. Hierzu darf angemerkt werden, dass es zu dem banal klingenden Vorgang der Rückkehr inzwischen Überlegungen in der Fachliteratur gibt, die man einbeziehen sollte. Gerade die Rückkehr in die Heimat nach Jahren im Ausland wird von vielen als Schock erlebt. Die bedeutenden Entsender von Experten wissen, dass auch die Bewältigung der Rückkehr und die Re-Integration ein Teil des erfolgreichen Auslandseinsatzes sind. (Vgl.: „Der Schock der Heimat“) 
 
Das Buch „Deutsch unterrichten weltweit“ wird den angesprochenen Leserkreis nicht enttäuschen. Es ist ein Muss für alle, die sich einen ersten Überblick verschaffen wollen.

16.12.04

Walser, Tod eines Kritikers

Martin Walser, Tod eines Kritikers, Suhrkam Verlag,
Frankfurt a. M. 2002,
219 Seiten

 
Eine Elementarregel der Literaturkritik sagt:  Konzentrier dich auf das Buch, schweif nicht ab und lass dich auch nicht durch den medialen Kontext, in dem es erschienen ist, ablenken.  Aber wie kann man ein Buch besprechen, das bereits vor seinem Erscheinen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Hass-Werk und als antisemitische Beleidigung von  Marcel Reich Ranicki - je nach Gusto Deutschlands Star-Kritiker oder Literatur-Papst -  verurteilt wurde? 

Angriffe auf den Roman hätten ihm fast das Leben gekostet
 
Der im Jahr 2002 erschienene Roman „Tod eines Kritikers“ von Martin Walser hat in der Medienlandschaft Furore gemacht; und fast zum Jahresausklang deutete sein Autor in einem Interview des Hamburger Magazins „Stern“ an, dass ihn die Angriffe auf seinen Roman fast das Leben gekostet hätten.  Die an ihm und an seinem Roman geübte Kritik sei kaum zu ertragen gewesen, weitere Angriffe hätte er nicht ausgehalten:  „Dann wäre ich weg, wäre wahrscheinlich nicht mehr hier.“  

Fragen und Antworten 
 
Der Leser dieses Romans muss zwangsläufig seinen Blick hin und her wenden:  von der Vorverurteilung des Romans und von der darauf folgenden Diskussion, in der das Buch als Satire und Parodie etikettiert wurde, bis hin zur Selbstinterpretation des Autors, der sein Werk als „unglücklich verlaufene Liebesgeschichte“ bezeichnet.  Ist das Buch antisemitisch?  Ist es eine gelungene Parodie?  Ist es ein Stück lesenswerte Literatur?
Die erste Frage ist eindeutig mit Nein zu beantworten. Oder erlaubt eine Stelle auf Seite 10 des Romans eine andere Einschätzung?  Dort heißt es,  dass die Romanfigur Hans Lach den  Protagonisten und Literaturkritiker Ehrl-König verbal angegriffen habe: „Herr Ehrl-König möge sich vorsehen. Ab heute nacht wird zurückgegschlagen.  Diese Ausdrucksweise habe unter den Gästen, die samt und sonders mit Literatur und Medien und Politik zu tun hätten, mehr als Befremden ausgelöst, schließlich sei allgemein bekannt, dass Andre Ehrl-König zu seinen Vorfahren auch Juden zähle, darunter auch Opfer des Holocaust.“ 

Ehrl-König eine Beleidigung des großen Kritikers?
 
Marcel Reich-Ranicki sah in der Romanfigur des Ehrl-Königs einen Angriff auf seine Person, denn sie ist mit Attributen und Allüren ausgestattet, die zu ihm passen könnten: Ehrl-König ist Star-Kritiker, er hat einen Sprachfehler.
Dieser Ehrl-König charakterisiert sich selbst in einer Rede, die in indirekter Form wiedergeben wird.  Er räsoniert über die Romanfigur Hans Lach (Achtung: keine Rechtschreibfehler, sondern Wiedergabe eines Sprachfehlers.) 

Zitat

 „Er sei ja, das könne Martha nicht wissen, mit Hans Lach befereundet, er schätze ihn als einen außerordentlich begabten Schscheriftstellerrr, in der keleinen und der keleinsten Form gelinge ihm gelegentlich durchaus Gutes, manchmal sogar Vorzügeliches, aber im Roman:  eine Enttäuschung nach der anderen. Er kann alles mögliche, unser Hans Lach, aber das, was er offenbar am liebsten tut, am ausdauerndsten tut, erzählen, das kann er nicht, das kann er ums Verrecken nicht. Und das einem Fereund zu sagen, liebe Marthaa, das tut weh.  Aber der Keritiker hat, wenn er Keritiker ist, weder Fereund noch Feind. Seine Sache ist, solange er urteilt, die deutsche Literatür.    Wenn er, Ehrl-König, ein paar Tage hintereinander deutsche Gegenwartsliteratür lesen müsse, beneide er die Leute von der Müllabfuhr.  Wie elegant schwingen die die Kübel voll des übelen Zeugs hinauf zum Schelucker, schwupps, und weg ist das Zeug, der Kübel wieder leicht und leer, aber wie lange habe er, der Keritiker, zu würgen und zu gacksen, bis er so einen deutschen Gegenwartsroman dort habe, wo der hingehört, in den Müll.“  S. 40 f. 
Ehrl-König verschwindet unter mysteriösen Umständen, eine Blutspur nährt den Mordverdacht, der auf Hans Lach fällt.  Lach landet in der Psychatrie. Später stellt sich heraus, dass der Kritiker nicht ermordet wurde, sondern nur deshalb von der Bildfläche verschwand, weil er sich für einige Zeit mit einer Geliebten davon gemacht hatte. 

"Er war die Macht, und die Macht war er."
 
Die Romanfigur Julia Pelz-Pilgrim, Verlegergattin, Anhängerin eines Sektenkults (Saturn) und Verehrerin von Hans Lach, äußert über den Kritiker:
Er war die Macht, und die Macht war er.  Und wenn man wissen will, was Macht ist, dann schaue man ihn an:  etwas Zusammengeschraubtes, eine Kulissenschieberei, etwas Hohles, Leeres, das nur durch seine Schädlichkeit besteht, als Drohung, als Angstmachendes, Vernichtendes. Sie habe mitgekriegt, wie viele Schräubchen Ehrlkönig drehte und drehen ließ, bis er der Koloß war, vor dem alle in die Knie gingen.  Und das mit Namen der Literatur.  Im Namen Lessings, Goethes.  Nicht im Namen Hölderlins.“   Er sei ein Opfer seiner eigenen Macht geworden. (S. 76)  

Licht in den Literaturbetrieb 
 
Eine weitere weibliche Romanfigur, Lydia Streif, ergänzt die Charakterisierung:  „Dann habe Bernt (ihr Mann) Ehrl-König nur noch beschimpft, habe ihn ein Michelin-Männchen genannt, einen Fürsten der Aufgeblasenheit, eine Marionette der Egomanie, eine Fernsehlarve und der Totengräber der deutschen Literatur.2 (S. 79)
Der Roman leuchtet etwas in den Literaturbetrieb, in die Welt der Verhältnisse von Verleger und Autor, von Medienmacht und Erfolg.   Wer kein Insider dieses Betriebes ist,  kann die Realität, die damit gemeint sein soll, nur erahnen. 

Zum Schluss wird es toll
 
Gegen Ende des Buches wird es toll.  Es geht in die Psychiatrie, wo eine als Literatur intendierte Tonbandmitschrift  deftige Worte zutage bringt.  Darin werden die bekannten Fernsehrituale der Literaturkritik in grober Übertreibung aufs Korn genommen.
Wenn man den Roman zu Ende gelesen hat, nicht ohne langen Atem, dann hat man die Gewissheit, dass es sich um eine Satire handelt und dass bestimmte Personen des deutschen Literaturbetriebes parodiert werden.

Intellektuelle Übungen,
Verschachtelter Satzbau, Distanz zum Leser
 
Ob man dafür auf über 200 Seiten allerhand intellektuelle Übungen, die durchaus eines akademischen Seminars würdig wären, rezipieren muss,  erscheint fraglich.  Wegen seiner etwas gedrechselt wirkenden Sprache mit verschachteltem Satzbau und indirekter Rede schafft der Autor Distanz zum Erzählten, aber wohl auch zu nicht wenigen Lesern. 

Ja, man soll es lesen 
 
Soll man das Buch lesen?  Ja, denn sonst versteht man nicht das Theater, das vor und nach seinem Erscheinen darum gemacht wurde.  Es steht außer Frage:   Im „Tod eines Kritikers“ geht es um den Umgang mit Literatur in der modernen Mediengesellschaft.  Diese Parodie sollten diejenigen, auf die angespielt wird,  ertragen können