Der Autor von "Das Kapital - Ein Plädoyer für den Menschen" ist der als Sozialkritiker bekannte Erzbischof von München und Freising. Er ist auch Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz.
Kapitalismuskritik
Ausgehend von der katholischen Soziallehre und ihren theologischen Begründungen geht er in diesem Buch scharf mit dem Kapitalismus ins Gericht, offensichtlich zu einem Zeitpunkt, als das derzeitige Ausmaß der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise noch nicht abzusehen war: "Ein Kapitalismus ohne Menschlichkeit, Solidarität und Gerechtigkeit hat keine Moral und auch keine Zukunft."
Auf Augenhöhe mit Karl Marx?
Er kokettiert mit seinem Familiennamen, indem er sich auf seinen berühmten Namensvetter Karl Marx bezieht. Dies tut er gleich auf zweifache Weise: einmal mit dem Buchtitel durch Anspielung auf dessen Hauptwerk und zum anderen mit seinem Einleitungskapitel, das als fiktiver Brief an seinen "lieben Namensvetter" verfasst ist. Damit beansprucht er mit diesem gleichsam auf Augenhöhe zu sein, was die Formulierung der Kapitelüberschrift "Marx schreibt an Marx" deutlich macht. In seinem "Brief" stellt er der kommunistischen Bewegung von Karl Marx die Soziallehre des damaligen Bischofs von Mainz, Wilhelm Emmanuel von Kettler, gegenüber. Nach Kettler sollte das Eigentum nicht abgeschafft werden, sondern es sollte den Eigentümer verpflichten, durch dasselbe, d. h. das Kapital, dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen.
Erzbischof Marx erklärt den revolutionären Sozialismus in der Prägung von Karl Marx als offenkundig gescheitert und wendet sich ebenso vom weltweiten Raubtierkapitalismus jüngster Zeit ab. Dem stellt er als gesellschaftliches Erfolgsmodell die soziale Marktwirtschaft (nach den Prinzipien von Solidarität, Subsidiarität, Freiheit und Eigenverantwortlichkeit) der Bundesrepublik Deutschland gegenüber. Das bedeutet, dass der Staat eine ordnende Rolle spielt, indem er durch Bändigung des marktwirtschaftlich agierenden Privatkapitals für soziale Gerechtigkeit sorgt. Am Ende seines Buches, das in acht Kapitel und einen Schlussteil gegliedert ist, nimmt er die Globalisierung der Wirtschaft in den Blick und fordert eine solidarische Weltordnung und eine globale soziale Marktwirtschaft: "Wir müssen daran arbeiten, dass die Marktwirtschaft weiterhin in einem Ordnungsrahmen stattfindet, der gemeinwohlorientiert ist und Raum lässt für eine institutionalisierte Solidarität in einem funktionierenden Sozialstaat, und zwar im Blick auf die `Weltgemeinschaft`." (S. 297)
Für Studierende geschrieben
Das Buch enthält einen Literaturnachweis und ein Personen- und Sachregister. Das weist darauf hin ,dass es in die Hände von Studierenden und entsprechend Gebildeten gehört, die sich mit den gesellschaftspolitischen Fragen unserer Zeit kritisch auseinandersetzen und dabei die Positionen der katholischen Kirche in Deutschland kennen lernen möchten.
Klare Sprache
Als besonderer Vorzug ist die Klarheit der Sprache hervorzuheben. Eine Fülle von gesellschaftlichen, theologischen und sozialpolitischen Konzepten (unter anderem aus der Befreiungstheologie der Begriff der "Struktur der Sünde" für ungerechte Systeme) wird auch dem Laien verständlich dargelegt.
Drastische, zitierfähige Beispiele
Manch ein Leser dieses Buches dürfte sich wundern, mit welcher Offenheit der Erzbischof von München und Freising soziale Missstände unserer Zeit anprangert und dabei eine Reihe von zitierfähigen drastischen Beispielen gibt:
"Geierfonds (vulture funds). Wenn ein Land nachhaltig
in Zahlungsschwierigkeiten gerät, kaufen die `Geier`unter
den Hedgefonds mit hohen Abschlägen auf die ursprüngliche
Kreditsumme dessen Schulden auf und verklagen es dann
auf Rückzahlung der vollen Beträge einschließlich Zins und
Zinseszins." (S.139) Oder:
"Aber nicht nur bitterarme Entwicklungsländer, auch ganz
normale Häuslebauer in Deutschland sind von
gewissenlosen Spekulanten bereits in den Ruin
getrieben worden. Durch die amerikanische Immobilienkrise
in Schwierigkeiten geratene deutsche Banken und
Sparkassen haben in den letzten Monaten sogenannte
`notleidende`Kredite mit einem Gesamtwert im
zweistelligen Milliardenbereich an Schuldenaufkäufer
- häufig Hedgefonds - verkauft." (S. 141)
Ohne Gerechtigkeit sind Staaten Räuberbanden (Augustinus)
Der Leser erfährt aber auch, auf welchem theologischen Fundament sowohl seine Sozialkritik als auch die angebotenen Reformvorschläge (Beseitigung sittenwidrige Managergehälter, Verantwortung aller durch Stakeholder (nicht: Shareholder!) Value-Modell, Schaffung eines öffentlich unterstützen dritten Arbeitsmarktes für Langzeitarbeitslose, Familienpolitik durch mehr Bildungsausgaben und bessere Rentenansprüchen für Erziehende) stehen, die durchaus mehr sind als moralische Appelle an das Gerechtigkeitsempfinden: "Ohne Gerechtigkeit sind Staaten nichts anderes als Räuberbanden, wie Augustinus gesagt hat." (S. 158)
Rahmenordnung für den Kapitalismus gefordert
Der Autor wirbt dafür, dass man sich erneut mit den Grundlagen der Marktwirtschaft beschäftigen möge und dass ihre Theoretiker wie Wilhelm Röpke, Walter Eucken, Alexander Rüstow und Friedrich August von Hayek besser wahrgenommen werden. Neben den bereits angesprochenen konkreten Vorschlägen auf nationaler Ebene fordert er abschließend für eine globale soziale Marktwirtschaft Veränderungen wie: faire Welthandelsbedingungen, eine Rahmenordnung für den internationalen Finanz- und Kapitalmarkt und die Garantie von unabdingbaren Arbeitnehmerrechten.
Günther Miklitz, Bonn