8.1.05

Book Review: Sowell, Race and Culture

Thomas Sowell, Race and Culture
- A World View 


Thomas Sowell, a black senior fellow at the
Hoover Institution at Stanford University has aroused
much controversy with his 329 page-long book on race and
culture. His thesis runs contrary to most current trends in
social sciences. And it seems incompatible with most
assumptions underlying government policies and estabished
academic notions with regard to racial and ethnic minorities.

Sowell's thesis maintains that differences in productive
skills and cultural values are the key to understanding
the advancement or regression of ethnic groups. In his
opinion, skills and values make up the cultural capital
of an ethnic group or of a people, whereas politics,
environmental factors and genetics do not play the important
roles widely attributed to the success of a group or nation.

Since Sowell's central topic is the universe of values,
the reader will easily accept the general layout of his
book: a world view. In order to make his universal
perspective convincing, Sowell pays his respect to
a one page long list of scholars world wide from whose
wisdom he has been able to draw.

What is the result of Sowell's approach to "Race
and Culture"? We learn that certain peoples have
been more or similarly successful than others because
of their human capital, their particular pattern of
cultural values which enabled them to perform better
than others. The Jews are said to have prospered
wherever they went in the world because they were
experts in the textile business. Italian immigrants
were often similarly successful in the field of wine
production. The Germans are said to have always been
successful farmers and craftsmen, and the Chinese
succeed everywhere as retailers and restaurant owners.

In one chapter he goes into the question whether
intelligence tests allow any conclusion as to the genetic
supremacy of one race over the other. The answer is
negative. Chinese and some other immigrant groups have
been economically and socially successful in America
regardless of how they score on intelligence tests. This
proves, in his opinion, that inherited traditional values and
skills as well as the culturally based capacity to adapt to
new conditions are the essential factors, and not genetics.

He says the assumption that always environmental conditions
are the determining factors of a group's success or failure
is wrong. Consequently, he does not think that a disad-
vantaged group of American society like the uneducated and
poor blacks could be put on their feet by just improving the
environmental factors of their lives.

Throughout his argumentation he reproaches the
intellectuals of often taking the lead in spreading
misconceptions of history and doing harm to society:
"The role of soft-subject intellectuals - notably professors
and schoolteachers - in fermenting internal strife and
separatism, from the Basques in Spain to the French
in Canada, adds another set of dangers of political
instability from schooling without skills." (p. 24)

He believes in hard core skills like the technologies
and crafts which are the basis of cultural success.
Cultures are conceived of as dynamically engaged
in a competitive process in which the weaker and
less successful elements are weeded out. At that,
there are many parts of group cultures which do not
deserve any respect. That is why he thinks the notion
of "mutual respect" cannot always hold as a premise when
comparing cultures.

To his mind there is the widely observable development of a
modern world culture which gradually overcomes those cultures
which are less apt. This looks much like social Darwinism.

No wonder that the book may easily be misunderstood
as ultra conservative. In fact, its title would be almost
impossible to translate directly into German because of
the nazi connotations of the word "race".

The book provides stimulating reading because
nowhere else does one get such a pragmatic concept
with a material and substantial understanding of culture.
Probably everybody has secretly believed that according
to his private observations certain nations and cultures are
more or less successful and deserve more or less respect.
But for the sake of not nurturing prejudices everybody
refrains from speaking out.

On the other hand it must be feared that the book will
be grist to the mill of those conservative forces in society
who have always believed that only they themselves deserve
to be rich and powerful because in their blindfolded eyes the
lower strata of society lack cultural stamina and don't like to work
hard.
Guenther Miklitz

30.12.04

Umberto Eco, Baudolino (Roman)

Umberto Eco, Baudolino (Roman), München 2003, übers. v. Burkhart Kroeber, Deutscher Taschenbuchverlag, 12,50 Euro.

„Wenn einer nicht auf dem gewohnten Weg vorankommt, sucht er sich hintenrum eine bessre Straße. Die Art der Erfindung ist sehr mannigfaltig; doch um das Gute zu finden, muß man, ich hab`s erprobt, in umgekehrter Richtung gehen.“ 

Dieses Zitat aus einem zeitkritischen Gedicht von Galileo Galilei (1590), hat Umberto Eco seinem 633 Seiten umfassenden Roman „Baudolino“ als Motto vorangestellt. Auf entsprechende Weise erzählt er uns die Lebensgeschichte von Baudolino, einem „mit allen Wassern gewaschenem Schelm und Abenteurer“ in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Während bei Galilei „Erfindung“ und „Phantasie“ das naturwissenschaftliche Denken dialektisch beflügeln, ist es bei Eco die zur Erzählkunst stilisierte Lüge des Protagonisten als schöpferischer Umgang mit der historischen Wahrheit.

Das Einleitungskapitel ist sprachlich in Anlehnung an das Mittelhochdeutsche geschrieben und bedarf der Geduld beim Einlesen. Es ist der fingierte Anfangsteil der Biographie des Romanhelden, der angeblich auf gestohlenem und abgeschabtem Pergament seines Lehrers Bischoff Otto von Regensburg schreibt. Im italienischen Original handelt es sich um eine dialektgefärbte Variante des Italienischen, die sich der Autor - nach eigenem Bekunden in einem Interview- ausgedacht hat. 

Dem Übersetzer, Burkhart Kroeber, ist die Übertragung ins Deutsche nicht nur an dieser Stelle sehr gut gelungen. Baudolino ist als 13-jähriger Bauernjunge aus dem Piemont zu Kaiser Barbarossa gekommen, als dieser mit seinem Heer auf dem Vierten Kreuzzug durch Italien zieht. Der Kaiser findet Gefallen an dem besonders sprachbegabten Jungen und adoptiert ihn. Im zweiten Kapitel begegnet Baudolino dem Kanzler des Kaisers von Byzanz, während Konstantinopel von den Kreuzrittern erobert und zerstört wird. Er zeigt ihm das erwähnte Pergament und erzählt seine Geschichte. 

Sodann aber übernimmt der allwissende Erzähler das Geschehen und entfaltet in 39 weiteren Kapiteln von jeweils 5 bis 20 Seiten Länge ein historisches Panorama: Baudolino wird zum Rhetorikstudium nach Paris geschickt und erlebt die Feldzüge des Kaisers gegen die oberitalienischen Städte und seinen Kreuzzug ins Heilige Land. Der Leser wird Zeuge von Gesprächen über historische Begebenheiten und ihre politische Einschätzung – zumeist gewürzt mit Ironie, Humor und Anspielungen. 

So tröstet Baudolino zum Beispiel seinen Kaiser nach einer Niederlage durch die oberitalienischen Städte mit folgenden Worten: „(...) bei diesen Städten wirst du immer verlieren, weil du sie zur Ordnung zwingen willst, die ein Kunstprodukt ist, während sie in der Unordnung leben wollen, die der Natur entspricht (...)“

Soweit der Rezensent als Nichthistoriker sehen kann, entspricht der historische Rahmen der bekannten Geschichtsschreibung. Auch theologische oder philosophische Themen der Zeit, z. B. die Auseinandersetzung zwischen der etablierten kirchlichen Lehre und den Nestorianern, werden richtig und vor allem gut verständlich dargelegt. Wer sich für historische Stoffe interessiert, findet einen Teil der Geschichte Barbarossas lebendig erzählt. Aber er sollte historisches Grundwissen mitbringen, damit er erkennen kann, welche Fülle von phantastischen Erzählteilen mit dem historischen Kern verbunden ist. Die Fabulierfreude des Autors ist vermutlich nicht jedermanns Sache, vor allem nicht für jene Leser, die eine klar strukturiert und spannende erzählte Geschichte suchen, um die Zeit Barbarossas besser zu verstehen. 

Im letzten Kapitel hat der Autor im Grunde bereits kritische Einwände vorweggenommen, als er zwei Romanfiguren über den Wahrheitsgehalt von Baudolinos Geschichte nachdenken lässt:

„Ja, ich weiß, das ist nicht die Wahrheit, aber in einer großen Geschichte kann man kleine Wahrheiten ändern, damit die größere Wahrheit hervortritt. (...) Früher oder später wird sie jemand erzählen, der noch verlogener ist als Baudolino.“ Günther Miklitz

18.12.04

Buchbesprechung: Dagmar Giersberg, Deutsch unterrichten weltweit

Dagmar Giersberg, Deutsch unterrichten weltweit. Ein Handbuch für alle, die im Ausland Deutsch unterrichten wollen" ist 2004 im W. Bertelsmann Verlag in Bielefeld in vollständig überarbeiteter Auflage erschienen, aktualisiert und ergänzt.

In diesem Ratgeber werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie man Deutsch als Fremdsprache im Ausland unterrichten kann (als Praktikant, Fremdsprachenassistent, Lektor oder Lehrer). Zudem werden DaF-Studiengänge und Fortbildungsmöglichkeiten vorgestellt. Daneben gibt es Informationen zur Stellung der deutschen Sprache in der Welt, zu Mittlerorganisationen und Verbänden in Deutschland, Österreich und der Schweiz, zu Zeitschriften und Unterrichtsmaterial etc.

In unserer Besprechung der Erstauflage 2002 schrieben wir:
Buchbesprechung: Dagmar Giersberg, Deutsch unterrichten weltweit, Bielefeld 2002,  232 Seiten, 14,90 Euro  
Das Buch „Deutsch unterrichten weltweit“
von Dagmar Giersberg schließt eine Lücke
. 
 
Eine Informations- und Orientierungslücke, die bislang für jeden bestand, der im Ausland Deutsch unterrichten wollte und der keinen einschlägigen Studiengang in Deutsch als Fremdsprache durchlaufen hatte.
Der Rezensent erinnert sich an drei Vorbereitungen für pädagogische Einsätze im Ausland: nach Frankreich durch den Pädagogischen Austauschdienst, nach Spanien durch das Bundesverwaltungsamt und nach China durch den DAAD. Vor jeder Entsendung war es erneut nötig, sich einen Überblick zu verschaffen über Ämter, Institutionen, Organisationen und Materialquellen, mit denen man als Deutschlehrer im Ausland zu tun hat oder zu tun haben könnte. In China begegnete man sogar vereinzelt Lektoren, die von Entsendestellen kamen, mit denen man gar nicht gerechnet hatte. Hätte man als junger Auslandslehrer das nun vorliegende Handbuch „Deutsch unterrichten weltweit“ zur Verfügung gehabt, wäre manches schneller und leichter zu haben gewesen. 
 
Man findet in diesem Ratgeber die Aufgaben der verschiedenen Mittlerorganisationen beschrieben, bekommt relevante Adressen, einschließlich Web- und E-Mail-Adressen, und man kann sich kurz über finanzielle, kulturelle und rechtliche Rahmenbedingungen sowie über die ganze Palette fachlicher Aspekte des Themas Deutsch als Fremdsprache im Ausland informieren. 
 
Im Internet ist bei Amazon eine Leserrezension veröffentlicht, die besonders die Adressensammlung von Ministerien, Mittlerorganisationen und Verbänden kritisiert, da man sie leicht im Internet auffinden könne, zumal in der jeweils aktuellen Fassung.
Dem ist entgegenzuhalten, dass man nicht immer einen schnellen Internet-Rechner zur Hand hat und dass es gerade für die Aktiven im Bereich Deutsch als Fremdsprache im Ausland sehr nützlich sein dürfte, diese Informationen praktisch gebündelt und übersichtlich jederzeit erreichbar im Bücherregal zu haben. 
 
Um der Autorin gerecht zu werden, sollte man den Untertitel des Buches lesen: „Ein Handbuch für alle, die im Ausland Deutsch unterrichten wollen.“ Wer jedoch den verhältnismäßig neuen Studiengang Deutsch als Fremdsprache durchlaufen hat, kann vermutlich auf die kurzen Hinweise zu interkulturellen Differenzen und didaktischen Aspekten verzichten. Wahrscheinlich verfügt ein solcher Absolvent eines Fachstudium auch schon über eigene Unterrichtserfahrung im Ausland. 
 
Das Buch aber wendet sich hauptsächlich an diejenigen, die eine erste Orientierung benötigen. Es darf eben nicht missverstanden werden als ein Handbuch der Fremdsprachendidaktik für Deutsch als Fremdsprache - DaF. Der Nicht-Fachmann in dieser Unterrichtskunst findet ein ganzes Kapitel über die Ausbildung zum DaF-Lehrer und über entsprechende Studiengänge. Es handelt sich also eindeutig um einen Leitfaden für Novizen der Zunft und für DaF-Laien, vor allem für solche, die noch nicht recht wissen, ob sie überhaupt in den Auslandseinsatz gehen wollen. 
 
Diese Leser werden von der Autorin, die selbst durch verschiedene Erfahrungen im Ausland und bei Mittlerorganisationen ausgewiesen ist, geradezu umworben. Man spürt die Begeisterung, mit der die schöne und gewiss nicht leichte Arbeit des Deutschunterrichtens im Ausland schmackhaft gemacht wird. Dabei kommt es dem gestandenen Deutschlehrer jedoch beim Lesen der Einleitung des Buches zunächst so vor, als gehe es mit der flotten Apostrophierung des Lesers etwas allzu sehr in Richtung studentische Redeweise: „Raus aus dem Land, in dem Sie jeder versteht, in dem Sie sich auskennen – quälende Langeweile. Raus, raus, raus. Aber wie?“ (S. 9). Aber das steht sprachlich im Gegensatz zu den Hauptteilen, die in der Formulierung sachlich, fachlich und stilistisch angemessen erscheinen. – Recht so, denn es ist doch ein Fachbuch!
 
Kreativ und ansprechend Formuliertes findet der interessierte Leser an passender Stelle in den Teilen des Buches, die Erfahrungsberichte von jungen Lehrkräften bieten, z. B. aus Norwegen, aus Russland, aus Südkorea, aus Polen und aus Laos. 
--„Üppiges Grün, sanfte Hügel, vereinzelte Kokospalmen und um den Flughafen ein Meer aus Reisfeldern, die sich gleichmäßig wie Wellen im scheinbar weichen Monsunwind bewegten.“ (S. 189)
--„Ich hatte nicht erwartet, dass man mir aus dem Stegreif Schubertlieder vorsingen konnte, und auch wenn man Karajan für einen Komponisten hielt, musste ich im Gegenzug zugeben, nicht einen einzigen koreanischen Musiker, Schriftsteller oder Künstler zu kennen.“ (S. 93)
-- „Andere Sprachen, andere Erfahrungen sind hier selbstverständlicher als in überwiegend monoethnischen, monolingualen Regionen, in denen ‚das Andere’ zunächst mal als ‚das Fremde’, zuweilen gar mit bedrohlichem Beigeschmack, empfunden wird.“ (S. 64)
-- „Im Falle des Spracherwerbs beschränkt man sich weitgehend auf kontrastive Grammatikschulung und die guten alten Übersetzungsübungen. Außerhalb des Unterrichts aber beklagt man dann den Bildungs- und Werteverlust unter den Studenten, die keinen goethischen Faust mehr rezitieren können.“ (S. 34) 
 
Damit werden Eindrücke vom Unterrichten in der Fremde vermittelt, von den Herausforderungen, von den Reizen und davon, dass es auch darum geht, sich selbst zu verändern bzw. die eigenen Fähigkeiten zu entdecken und zu entfalten.  Das bedeutet auch bereit zu sein für die Revision bisheriger Positionen. 
 
Kurzum: Deutschunterricht als Begegnung mit der Fremde und die Rückwirkung auf das Selbst. Das motiviert zum Hinausgehen und zum Auslandseinsatz für DaF. 
 
Das erste Kapitel des Buches heißt: „Die deutsche Sprache in der Welt“ und eröffnet  den Blick auf eine Reihe von Aspekten.
Der Aspekt ‚Deutsch als Wissenschaftssprache’ mag verdeutlichen, warum dem Rezensenten ein tiefer gehender Blick in diesem Teil des Buches besser gefallen hätte: Zwar führt die Autorin unter ihren etwa 30 Buchtipps auf S. 194 den Titel „Ist Deutsch noch internationale Wissenschaftssprache?“ von Ulrich Ammon an.
Sie referiert auch zusammenfassend – gleichsam die kritischen Spitzen glättend – die dort beschriebene Tendenz eines allgemeinen Rückganges der deutschen Sprache in der Welt (S. 15), ohne jedoch in einer Fußnote die Quelle zu belegen. 
 
Nun gut, es ist eben kein Buch für Wissenschaftler. – Inhaltlich gesehen wäre Klartext besser wie vom Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen Kurt-Jürgen Maaß, der sich ausdrücklich auf Ammon beruft: Deutsch hat keine große Chance mehr als Wissenschaftssprache, weltweit werden nur noch knapp über ein Prozent aller naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen in deutscher Sprache verfasst. „Selbst viele deutsche Literaturwissenschaftler sind dazu übergegangen, wissenschaftliche Aufsätze auf Englisch zu schreiben, inzwischen fast fünfzehn Prozent der Veröffentlichungen.“ 
 
Ein wichtiger Punkt Ammons sollte dabei auch erwähnt werden, nämlich die neue Chance für DaF, die er in der Tatsache sieht, dass Deutsch in vielen Ländern der Welt als zweite Fremdsprache unterrichtet wird, und zwar nach Englisch. Hierauf sollte man sich im DaF-Bereich besser einstellen. 
 
Weiterhin kommt eine allgemein beklagte Tatsache zur Sprache, dass das Deutsche immer mehr Entstellungen durch Anglizismen und Deutsch-Englisch-Mischmasch erfährt.  Leider wird dieses Thema locker abgetan (S. 10). Man möchte gewiss nicht einer Deutschtümelei das Wort reden, aber in diesem Punkt würde das Eintreten für die deutsche Sprache jedem Deutsch Unterrichtenden gut anstehen.  Zu diesem Punkt also: Etwas mehr Biss, bitte! (Argumente beim Verein Deutsche Sprache e.V.) 
 
Zu dem ersten Kapitel insgesamt fehlt der Hinweis, dass ein guter Teil der darin gegebenen Informationen in einschlägigen Veröffentlichungen der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages zur auswärtigen Kulturpolitik enthalten ist. (Vgl. z. B. Bericht des Deutschen Bundestages von 1985 zur Stellung der deutschen Sprache in der Welt.) 
 
Kommen wir nun zurück auf die eingangs erwähnte nützliche Funktion des Buches als Ratgeber: Wo gibt es was für jemanden, der Deutsch als Fremdsprache im Ausland unterrichten möchte: Fachstudiengänge DaF, Unterrichtsmaterialien, Institutionen? Hier finden Abiturienten, Studierende in Anfangssemestern, Fachwissenschaftler ohne DaF-Wissen und sonstige Experten, die Deutsch unterrichten wollen oder gar müssen, die gewünschte Orientierung. 
 
Am Ende des Buches ist angedeutet, dass es im Ausland auch ein Scheitern geben kann und dass die Rückkehr dann der Ausweg sei. Hierzu darf angemerkt werden, dass es zu dem banal klingenden Vorgang der Rückkehr inzwischen Überlegungen in der Fachliteratur gibt, die man einbeziehen sollte. Gerade die Rückkehr in die Heimat nach Jahren im Ausland wird von vielen als Schock erlebt. Die bedeutenden Entsender von Experten wissen, dass auch die Bewältigung der Rückkehr und die Re-Integration ein Teil des erfolgreichen Auslandseinsatzes sind. (Vgl.: „Der Schock der Heimat“) 
 
Das Buch „Deutsch unterrichten weltweit“ wird den angesprochenen Leserkreis nicht enttäuschen. Es ist ein Muss für alle, die sich einen ersten Überblick verschaffen wollen.

16.12.04

Walser, Tod eines Kritikers

Martin Walser, Tod eines Kritikers, Suhrkam Verlag,
Frankfurt a. M. 2002,
219 Seiten

 
Eine Elementarregel der Literaturkritik sagt:  Konzentrier dich auf das Buch, schweif nicht ab und lass dich auch nicht durch den medialen Kontext, in dem es erschienen ist, ablenken.  Aber wie kann man ein Buch besprechen, das bereits vor seinem Erscheinen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Hass-Werk und als antisemitische Beleidigung von  Marcel Reich Ranicki - je nach Gusto Deutschlands Star-Kritiker oder Literatur-Papst -  verurteilt wurde? 

Angriffe auf den Roman hätten ihm fast das Leben gekostet
 
Der im Jahr 2002 erschienene Roman „Tod eines Kritikers“ von Martin Walser hat in der Medienlandschaft Furore gemacht; und fast zum Jahresausklang deutete sein Autor in einem Interview des Hamburger Magazins „Stern“ an, dass ihn die Angriffe auf seinen Roman fast das Leben gekostet hätten.  Die an ihm und an seinem Roman geübte Kritik sei kaum zu ertragen gewesen, weitere Angriffe hätte er nicht ausgehalten:  „Dann wäre ich weg, wäre wahrscheinlich nicht mehr hier.“  

Fragen und Antworten 
 
Der Leser dieses Romans muss zwangsläufig seinen Blick hin und her wenden:  von der Vorverurteilung des Romans und von der darauf folgenden Diskussion, in der das Buch als Satire und Parodie etikettiert wurde, bis hin zur Selbstinterpretation des Autors, der sein Werk als „unglücklich verlaufene Liebesgeschichte“ bezeichnet.  Ist das Buch antisemitisch?  Ist es eine gelungene Parodie?  Ist es ein Stück lesenswerte Literatur?
Die erste Frage ist eindeutig mit Nein zu beantworten. Oder erlaubt eine Stelle auf Seite 10 des Romans eine andere Einschätzung?  Dort heißt es,  dass die Romanfigur Hans Lach den  Protagonisten und Literaturkritiker Ehrl-König verbal angegriffen habe: „Herr Ehrl-König möge sich vorsehen. Ab heute nacht wird zurückgegschlagen.  Diese Ausdrucksweise habe unter den Gästen, die samt und sonders mit Literatur und Medien und Politik zu tun hätten, mehr als Befremden ausgelöst, schließlich sei allgemein bekannt, dass Andre Ehrl-König zu seinen Vorfahren auch Juden zähle, darunter auch Opfer des Holocaust.“ 

Ehrl-König eine Beleidigung des großen Kritikers?
 
Marcel Reich-Ranicki sah in der Romanfigur des Ehrl-Königs einen Angriff auf seine Person, denn sie ist mit Attributen und Allüren ausgestattet, die zu ihm passen könnten: Ehrl-König ist Star-Kritiker, er hat einen Sprachfehler.
Dieser Ehrl-König charakterisiert sich selbst in einer Rede, die in indirekter Form wiedergeben wird.  Er räsoniert über die Romanfigur Hans Lach (Achtung: keine Rechtschreibfehler, sondern Wiedergabe eines Sprachfehlers.) 

Zitat

 „Er sei ja, das könne Martha nicht wissen, mit Hans Lach befereundet, er schätze ihn als einen außerordentlich begabten Schscheriftstellerrr, in der keleinen und der keleinsten Form gelinge ihm gelegentlich durchaus Gutes, manchmal sogar Vorzügeliches, aber im Roman:  eine Enttäuschung nach der anderen. Er kann alles mögliche, unser Hans Lach, aber das, was er offenbar am liebsten tut, am ausdauerndsten tut, erzählen, das kann er nicht, das kann er ums Verrecken nicht. Und das einem Fereund zu sagen, liebe Marthaa, das tut weh.  Aber der Keritiker hat, wenn er Keritiker ist, weder Fereund noch Feind. Seine Sache ist, solange er urteilt, die deutsche Literatür.    Wenn er, Ehrl-König, ein paar Tage hintereinander deutsche Gegenwartsliteratür lesen müsse, beneide er die Leute von der Müllabfuhr.  Wie elegant schwingen die die Kübel voll des übelen Zeugs hinauf zum Schelucker, schwupps, und weg ist das Zeug, der Kübel wieder leicht und leer, aber wie lange habe er, der Keritiker, zu würgen und zu gacksen, bis er so einen deutschen Gegenwartsroman dort habe, wo der hingehört, in den Müll.“  S. 40 f. 
Ehrl-König verschwindet unter mysteriösen Umständen, eine Blutspur nährt den Mordverdacht, der auf Hans Lach fällt.  Lach landet in der Psychatrie. Später stellt sich heraus, dass der Kritiker nicht ermordet wurde, sondern nur deshalb von der Bildfläche verschwand, weil er sich für einige Zeit mit einer Geliebten davon gemacht hatte. 

"Er war die Macht, und die Macht war er."
 
Die Romanfigur Julia Pelz-Pilgrim, Verlegergattin, Anhängerin eines Sektenkults (Saturn) und Verehrerin von Hans Lach, äußert über den Kritiker:
Er war die Macht, und die Macht war er.  Und wenn man wissen will, was Macht ist, dann schaue man ihn an:  etwas Zusammengeschraubtes, eine Kulissenschieberei, etwas Hohles, Leeres, das nur durch seine Schädlichkeit besteht, als Drohung, als Angstmachendes, Vernichtendes. Sie habe mitgekriegt, wie viele Schräubchen Ehrlkönig drehte und drehen ließ, bis er der Koloß war, vor dem alle in die Knie gingen.  Und das mit Namen der Literatur.  Im Namen Lessings, Goethes.  Nicht im Namen Hölderlins.“   Er sei ein Opfer seiner eigenen Macht geworden. (S. 76)  

Licht in den Literaturbetrieb 
 
Eine weitere weibliche Romanfigur, Lydia Streif, ergänzt die Charakterisierung:  „Dann habe Bernt (ihr Mann) Ehrl-König nur noch beschimpft, habe ihn ein Michelin-Männchen genannt, einen Fürsten der Aufgeblasenheit, eine Marionette der Egomanie, eine Fernsehlarve und der Totengräber der deutschen Literatur.2 (S. 79)
Der Roman leuchtet etwas in den Literaturbetrieb, in die Welt der Verhältnisse von Verleger und Autor, von Medienmacht und Erfolg.   Wer kein Insider dieses Betriebes ist,  kann die Realität, die damit gemeint sein soll, nur erahnen. 

Zum Schluss wird es toll
 
Gegen Ende des Buches wird es toll.  Es geht in die Psychiatrie, wo eine als Literatur intendierte Tonbandmitschrift  deftige Worte zutage bringt.  Darin werden die bekannten Fernsehrituale der Literaturkritik in grober Übertreibung aufs Korn genommen.
Wenn man den Roman zu Ende gelesen hat, nicht ohne langen Atem, dann hat man die Gewissheit, dass es sich um eine Satire handelt und dass bestimmte Personen des deutschen Literaturbetriebes parodiert werden.

Intellektuelle Übungen,
Verschachtelter Satzbau, Distanz zum Leser
 
Ob man dafür auf über 200 Seiten allerhand intellektuelle Übungen, die durchaus eines akademischen Seminars würdig wären, rezipieren muss,  erscheint fraglich.  Wegen seiner etwas gedrechselt wirkenden Sprache mit verschachteltem Satzbau und indirekter Rede schafft der Autor Distanz zum Erzählten, aber wohl auch zu nicht wenigen Lesern. 

Ja, man soll es lesen 
 
Soll man das Buch lesen?  Ja, denn sonst versteht man nicht das Theater, das vor und nach seinem Erscheinen darum gemacht wurde.  Es steht außer Frage:   Im „Tod eines Kritikers“ geht es um den Umgang mit Literatur in der modernen Mediengesellschaft.  Diese Parodie sollten diejenigen, auf die angespielt wird,  ertragen können